Stoffwechsel vs. Genetik
Immer wieder treten Begriffe wie Hardgainer oder Softgainer auf. Personen, die von sich behaupten, sie können essen was sie wollen, nehmen aber nicht zu. Sie seien genetisch einfach benachteiligt und hätten es somit schwerer im Muskelaufbau. Andere wiederum behaupten, dass bereits Fett zunehmen, wenn sie ein Stück Schokolade nur anschauen. Sind wirklich der Stoffwechsel oder die Genetik dafür verantwortlich? Dieser Mythos soll nun wissenschaftlich beleuchtet werden.
Grundsätzlich unterteilt man den Gesamtenergieverbrauch eines Menschen in zwei unterschiedliche Bereiche. Zunächst gilt der Grundumsatz als die Menge an Energie, die der Mensch zum Überleben benötigt. Diese setzt sich aus diversen Stoffwechselvorgängen sowie Versorgung von Organen zusammen. Jegliche Energie, die wir darüber hinaus verbrauchen, bezeichnen wir als Leistungsumsatz, also beispielsweise unsere alltäglichen Bewegungen oder Sport. Letzteres beschreibt also einen Wert, der individuell und selbstbestimmend ist, denn im Großen und Ganzen ist jede Person selbst dafür verantwortlich, wie viel man sich tagtäglich bewegt. Der Grundumsatz hingegen ist tatsächlich ein Wert, den man als „Stoffwechsel“, welcher genetische Unterschiede aufweisen kann, bezeichnet.
Mit diesen Definition ist es schwer möglich, wissenschaftlich zu argumentieren, weshalb wir den Energieverbrauch eines Menschen nun nochmal weiter aufteilen:
Als genetisch limitierender Faktor gilt wissenschaftlich die sogenannte Resting Metabolic Rate, kurz RMR. Das ist unser individueller Kalorienverbrauch in kompletter Ruhe.
Als zweiten Teil gibt es den sogenannten Thermic Effect of Food (TEF), welche jene Energiemenge beschreibt, die der Körper bereits zur Verdauung und Verstoffwechslung von zugeführter Nahrung benötigt. Bevor der Körper die Energie aus den Lebensmitteln nutzen kann, muss er hierfür zunächst Energie für die Aufspaltung der Nährstoffe nutzen, um diese transportierfähig und nutzbar zu machen.
Ein weiterer Bestandteil des Gesamtenergiebedarfs einer Person wird durch die Aktivität bestimmt, Thermic Effect of Activity (TEA). Diese Begriffsgruppe ist selbsterklärend, denn der TEA umfasst jegliche Energie, die durch Aktivitäten, beispielsweise Sport, verbraucht wird.
Abschließend gibt es noch die None Exercise Activity Thermogenesis (NEAT), welche jegliche Energie beinhaltet, die man bei unbewussten Bewegungen im Alltag verbraucht. Dazu zählen bereits kleinste, unbewusste Tätigkeiten wie das unruhige Sitzen auf dem Stuhl, das Stehen während der Busfahrt oder die Bewegungen beim Gestikulieren. Dies mag auf den ersten Blick nicht viel ausmachen, doch wenn man explizit darauf achtet, wird man schnell feststellen, dass sich diese Aktivitäten über den Tag hinweg summieren.
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Der Gesamtenergiebedarf
Alle diese Bestandteile zusammenaddiert ergeben den Gesamtenergiebedarf einer Person pro Tag. Von diesen einzelnen Kalorienmengen kann man tatsächlich nur die Resting Metabolic Rate als genetisch limitierend bezeichnet, welches auch wissenschaftlich belegt ist.
Hierzu wurden diverse Studien durchgeführt, die sich mit den Unterschieden bezüglich der RMR zwischen Vergleichsgruppen befassen. Es konnte herausgefunden werden, dass die Varianz der Resting Metabolic Rate von Mensch zu Mensch bei etwa 5-8% liegt. Dieser prozentuale Wert bedeutet in der Realität, dass bei einem angenommenen durchschnittlichen Verbrauch von 2000kcal täglich, etwa 96% der gesamten Weltbevölkerung in einem Bereich zwischen 1700kcal und 2300kcal täglichem Energieverbrauch liegen. Es gibt also Abweichungen von ca. 300kcal nach oben und unten. Knapp 70% der Menschen liegen hierbei sogar nur bei einer Abweichung von 150kcal täglich. Wenn man nun die restlichen 4% aller Personen betrachtet, kann man hierbei tatsächlich um drastisch, genetisch benachteiligte Personen oder Stoffwechselerkrankten ausgehen.
Die Studienlage ist an dieser Stelle sehr eindeutig. Es ist eine Varianz, die genetisch vorherbestimmt ist, vorhanden. Das ist bewiesen, allerdings ist die Höhe dieser Unterschiede nicht sehr ausschlaggebend. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut. Eine Abweichung von 300kcal entspricht etwa der Kalorienmenge von drei Bananen täglich. Mit diesen sehr geringen Kalorienmengen können die selbsternannten Hardgainer und Softgainer also keine plausiblen Gründe für ihre angebliche genetische Benachteiligung finde.
Doch wie kommen die großen Unterschiede zustande?
Es gibt, wie bereits erwähnt, weitere Aspekte, die den Kalorienverbrauch des Menschen bestimmen. Anhand eines Beispiels wird dies sehr schnell deutlich. Wir gehen nun von dem Extremfall der Differenz zwischen zwei Personen aus. Person A und Person B verzehren täglich dieselbe Kalorienmenge. Idealerweise gehen wir ebenfalls von exakt gleichen
biometrischen Daten sowie identischer Körperzusammensetzung bezüglich Muskel- und Fettanteil aus.
Makronährstoffverteilung
Zunächst ist die Verteilung der Makronährstoffe bei Person A auf viel mehr Protein ausgelegt, weshalb im Bereich des Thermic Effect of Food bereits kalorische Unterschiede zu verzeichnen sind. Für die Verdauung des Nährstoffs Eiweiß benötigt der menschliche Körper am meisten Energie. Fette hingegen sind beispielsweise sehr energiesparend verdaubar. Um den Faktor der bewussten Aktivität zu minimieren, gehen wir davon aus, dass beide Personen jeweils viermal in der Woche ins Krafttraining gehen und somit im Bereich des Thermic Effect of Activity keine kalorischen Unterschiede zu verzeichnen sind. Allerdings berücksichtigen wir hierbei ebenfalls den Aspekt des Berufs. Person A sei somit als Dienstleister im Handwerksbereich tätig und ist tagtäglich auf den Beinen unterwegs. Person B hingegen hat einen Bürojob und sitzt somit überwiegend.
Als abschließenden Wert gehen wir von einer unterschiedlichen None Exercise Activity Thermogenesis aus. Diese ist bei Person A deutlich höher, denn diese hat sich angewöhnt, immer leicht aktiv zu sein. Über den Tag hinweg kommt Person A kaum zur Ruhe. Im Vergleich dazu genießt Person B den Feierabend sehr gerne und nimmt sich abends zwei Stunden auf der Couch und schaut TV.
Wenn wir nun alle diese Aspekte addieren, also den vermehrten Energieverbrauch für Person A durch das aufgenommene Essen, die unbewussten Aktivitäten sowie die körperliche Arbeit, kommen wir insgesamt auf einen drastischen Unterschied zwischen beiden Beispielpersonen. Diese Varianz kann sehr einfach mehr als 1000kcal betragen, obwohl die eigentlichen Grundvoraussetzungen der Personen identisch sind. Rechnet man nun noch die genetisch möglichen Differenzen von etwa 300kcal hinzu, könnte Person A somit tagtäglich 1300kcal mehr essen, als Person B, und würde trotzdem nicht zu- oder abnehmen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es genetisch bedingte Unterschiede zwischen unterschiedlichen Personen gibt. Natürlich bringt jeder Mensch verschiedene Grundvoraussetzungen mit und somit einen individuellen Stoffwechsel. Allerdings handelt es sich hierbei um durchaus überschaubare Differenzen. Die eigentlichen Unterschiede zwischen den selbsternannten Hardgainern oder Softgainern bezüglich des Kalorienbedarfs liegen meist in den unbewussten Aktivitäten, dem persönlichen Beruf oder dem zugeführten Lebensmitteln.
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Quellen
Levine JA, „Non-exercise activity thermogenesis (NEAT).“, Best Pract Res Clin Endocrinol
Metab. 2002 Dec;16(4):679-702.
Levine JA et al., „Role of nonexercise activity thermogenesis in resistance to fat gain in
humans“, Science. 1999 Jan 8;283(5399):212-4.
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