Macht dich Krafttraining unbeweglich?
In vielen Köpfen und auch im Internet kursieren die wildesten Fitness-Mythen. Vielleicht bist du auch bereits über einige gestolpert, wie zum Beispiel „Man muss zuerst überschüssiges Fett reduzieren, bevor man Muskeln aufbauen kann.“ oder „Frauen müssen anders trainieren als Männer.“. Mythen halten sich oft hartnäckig, weil ihre Erklärungen im ersten Moment schlüssig klingen – ähnlich wie bei Verschwörungstheorien. Wenn man sich jedoch einmal genauer mit ihnen beschäftigt, wird schnell klar, dass sie so einfach nicht stimmen können. Heute gehen wir deshalb einem besonders hartnäckigem Fitness-Mythos auf die Spur: „Krafttraining macht unbeweglich!“
Inhaltsverzeichnis
Der Mythos: „Krafttraining macht unbeweglich!“
In jedem Mythos steckt oft ein kleiner Funke Wahrheit. Deswegen lohnt es sich, sich einmal mit dem Mythos selbst zu beschäftigen. Womit argumentieren also Menschen, die behaupten, dass „Krafttraining unbeweglich macht“?
Zuerst ein kleiner Exkurs zum Verständnis: Ein Muskel besitzt über Muskelsehnen mindestens zwei Befestigungspunkte an mindestens zwei verschiedenen Knochen (Ansatz und Ursprung). Durch die gezielte Ansteuerung des Muskels, wird dieser aktiv angespannt (Muskelkontraktion) und passiv entspannt (Muskelrelaxation) und ermöglicht eine Gelenkbewegung.
Die Begründung klingt zugegebenermaßen zuerst einleuchtend: Viele Menschen stellen sich Muskeln als Gummibänder vor, die zwischen zwei Knochen gespannt sind. Durch isoliertes Training nimmt die Spannung (oft gleichgesetzt mit Kraft) dieser Muskel-Gummibänder zu und sie verlieren an Elastizität. Das Muskelgewebe verkürzt sich und würde so keine volle Beweglichkeit der betroffenen Gelenke mehr zulassen können. Ein isoliertes Biceps-Training würde in diesem Modell also dazu führen, dass du deinen Ellenbogen nicht mehr strecken könntest. Die klare Konsequenz wäre dementsprechend eine Dehnung anzuschließen, um den Muskeln wieder in die Länge zu ziehen, oder auf isoliertes Krafttraining zu verzichten. Leuchtet ein – Oder?
Mythos Busted: Muskeln verkürzen sich nicht!
Leider nein. Denn wie neuere Studien bewiesen haben, verändern sich Muskeln in ihrer Länge nicht nachhaltig! Das heißt, dass es eine andauernde „Verkürzung“ der Muskulatur durch isoliertes Krafttraining schlichtweg physiologisch nicht möglich ist. Stell dir das Muskelgewebe einmal bildlich vor. Orientiert man sich am quergestreiften Muskelgewebe (vgl. Skelettmuskulatur), erinnert dieser eher an einen gewebten Teppich. Wenn du versuchst diesen zusammenzuschieben oder auseinanderzuziehen, wirst du zwar eine minimale Bewegung sehen, ihn in seiner Länge und Form aber nicht nachhaltig verändern können, ohne ihn zu beschädigen. Ähnlich verhält es sich mit dem Muskelgewebe.
Um Bewegung zu ermöglichen, sind Muskelfasern in der Lage, sich aktiv anzuspannen (Muskelkontraktion). Auf zellulärer Ebene gleiten Eiweißverbindungen ineinander (Filament-Gleit-Therorie) und ermöglichen so die Anspannung des Muskels und die Bewegung des Gelenkes. Dieser Prozess kann jedoch nur unter Energieaufwand stattfinden. Ist die Energie in der Muskelfaser aufgebraucht, kehrt sie wieder in ihre Ruheposition und der Muskel in seine Ausgangslänge zurück (Muskelrelaxation).
Eine Längenveränderung des Muskels bzw. eine Muskelverkürzung durch Training ist allein deswegen nicht möglich, da eine anhaltende Muskelkontraktion einen enorm hohen Energieaufwand zur Folge hätte, welche der Körper langfristig nicht zur Verfügung stellen könnte. Außerdem werden während einer Muskelkontraktion nie alle Muskelfasern gleichzeitig aktiviert. Über ein Rekrutierungsverfahren werden bestimmte Fasern angeregt und von anderen nach Energieverbrauch abgelöst. Würden alle Muskelfasern auf einmal rekrutiert, käme es zu einem Starrkrampf.
Ist Muskeldehnung dann nicht sinnlos?
Wenn Muskeln nicht verkürzen, warum kommst du dann erst nicht an deine Zehenspitzen und nach einigen Wiederholungen schon? Leider ist es nicht so einfach. In Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken befinden sich eine Vielzahl an Rezeptoren, die dem Zentralen Nervensystem über das Rückenmark u.a. Informationen über Muskelspannung und -länge der Muskulatur zukommen lassen. Wird ein Muskel über einen längeren Zeitraum nicht in seinem vollen Bewegungsausmaß mobilisiert, sendet er vereinfacht gesagt „Fehlinformationen“ an das Gehirn.
So wird die maximale Länge zum Beispiel früher gesendet als ursprünglich physiologisch vorgesehen. „Dehnst“* du deine Muskulatur, hilfst du deinem Körper, dass Signal wieder zum richtigen Zeitpunkt zurück zu verlagern (Dehntoleranz). Sportwissenschaftler konnten sogar nachweisen, dass wenn man diese Rezeptoren via Anästhesie ausschaltet, eine volle Beweglichkeit prompt wiederhergestellt war.
*Aktuell findet ein Umdenken zum Thema „Muskeldehnen“ statt. In den letzten Jahren und auch aktuell gab/gibt es immer wieder Kontroversen zum optimalen Zeitpunkt und über die Art des Dehnens selbst. Einigkeit herrscht in diesem Bereich nach wie vor leider keine.
Und was ist mit Bodybuilding?
Auch bei Menschen, die aktiv Bodybuilding betreiben, greifen die oben genannten Mechanismen. Das heißt, sie sind nicht aufgrund ihrer trainierten, „verkürzten“ Muskulatur per se unbeweglich/er. Da in diesem Bereich jedoch viel auf „Masse“ trainiert wird, begrenzen häufig sogenannte „Weichteilblockaden“ die Bewegungen. So können sie zum Beispiel ihren Ellenbogen nicht komplett beugen, weil die Muskulatur des Unterarms auf die Muskultur des Oberarms trifft, bevor die Bewegung ihr volles Ausmaß erreicht hat.
Was ist für dein Training wichtig, um beweglich zu bleiben?
Egal welche Trainingsform du praktizierst, es ist wesentlich, dass du möglichst den maximalen Bewegungsradius (Range of Motion, kurz: ROM) während deines Trainings ausnutzt. Denn nur wer sich nicht ausreichend oder nur in limitierten Bahnen bewegt, wird schließlich unbeweglich.
Ist deine Dehnungstoleranz bereits zu gering, kannst du diese durch ein spezifisches Trainingsprogramm steigern. Hier eignet sich zum Beispiel eine Yoga-Einheit als Ausgleich zum Krafttraining. Alle weiteren Informationen bekommst du in der Ausbildung zum/r Yogalehrer/in.
Literaturverzeichnis:
Amboss (2020). Muskelgewebe. Abgerufen am 01.03.2020 von https://www.amboss.com/de/wissen/Muskelgewebe/.
Faller, A.; Schünke, M. (2012). Der Körper des Menschen. Einführung in Bau und Funktion, 16., überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag KG. Stuttgart.
Pschyrembel Online (2020). Rezeptoren. Abgerufen am 01.03.2020 von
https://www.pschyrembel.de/rezeptoren/K0JU3/doc/.
Schlagwörter:
Fitness-Tipps
12. April 2022
Moin Claudia,
Interessanter Artikel, vielen Dank. Man weiß ja doch manchmal nicht, was hinter solchen Mythen steckt und jeder sagt einem etwas anderes. 😀
Ich versuche gerade mich zusätzlich zu der Sportroutine besser zu ernähren. Was sagst du denn als Fachfrau zu gesunden Fertiggerichten? Shakes zum Beispiel sind einfach nichts für mich und es ist ja doch nicht immer die Zeit da zum Kochen. Hast du Erfahrungen oder Tipps für mich?
Liebe Grüße
Jana