Haltungsanalyse im Personal Training: Schritt-für-Schritt Anleitung
Schon mal von einer Haltungsanalyse gehört? Mit ihr lassen sich potenzielle Fehlhaltungen, muskuläre Schwächen und Verkürzungen erkennen und Trainingsempfehlungen ableiten. Wie du als Personal Trainer eine Haltungsanalyse Schritt für Schritt durchführen kannst, worauf dabei zu achten ist und was die Körperhaltung deines Kunden dir alles verrät, erfährst du in diesem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
Was genau ist Haltung eigentlich?
Unter Haltung bzw. Körperhaltung versteht man die Position des menschlichen Körpers im Raum. Sie ergibt sich durch das Zusammenwirken von Muskeln, Bändern und Knochen und beschreibt die Art zu stehen, zu gehen, zu sitzen oder zu liegen.
Was beeinflusst die Haltung?
Unsere Körperhaltung unterliegt einer ganzen Reihe von Einflüssen. Dazu zählen:
- Beruf
- Verletzungen und Erkrankungen
- Persönlichkeit und Emotionen
- erbliche Faktoren
- Größe und Gewicht
- Lifestyle und Ernährung
- Muskuläre Dysbalancen
Warum ist eine gute Körperhaltung wichtig?
Der Körper arbeitet dann am besten, wenn er in der optimalen Position ist. Ist der Körper richtig ausgerichtet, wird das Gewicht harmonisch und ebenmäßig verteilt. Muskeln, Gelenke und Wirbelsäule können dann spielend leicht zusammenarbeiten.
Passt irgendwo etwas nicht richtig zueinander, können Verletzungen oder Schmerzen auftreten. Eine gute Körperhaltung ist deshalb sowohl im Alltag als auch im Fitness- und Sportkontext immens wichtig.
Viele gute Personaltrainer bieten daher im Rahmen ihrer Anamnese eine Haltungsanalyse an. Durch sie lassen sich mögliche Fehlhaltungen, Haltungsdefizite, Muskelverkürzungen sowie Schwachstellen erkennen. Muskelaufbau und Mobilitätsübungen können so optimal auf den Kunden eingestellt werden.
Exkurs: Was meint eigentlich der Begriff “Muskelverkürzung”?
Wusstest du, dass du den Begriff “Muskelverkürzung” in den allermeisten Fällen nicht allzu wörtlich nehmen solltest?
Die Länge eines Muskels verändert sich normalerweise nämlich nicht wesentlich. Man spricht hier auch von struktureller Verkürzung. Diese ist sehr, sehr selten und kommt nur bei ernsten Geschichten, wie zum Beispiel Lähmungen, vor.
Funktionell hingegen können sich Muskeln durchaus recht schnell “verkürzen”. Das geschieht über Anpassungen in der neuronalen Ansteuerung des betreffenden Muskels. Da unser Körper nur ungern Energie verschwendet, arbeitet er stets so ökonomisch wie möglich, mit so wenig Aufwand wie nötig. Deshalb passen sich Muskeln an die Arbeitslänge an, in der sie die überwiegende Zeit gehalten werden und Arbeit verrichten.
Passiert das, ändert sich der Ruhetonus eines Muskels, also der Spannungszustand eines Muskels in Ruhe. Dabei handelt es sich um eine Dauerspannung, die unwillkürlich in allen Muskeln aufrechterhalten wird. Bei einer funktionellen Muskelverkürzung ist diese Dauerspannung dauerhaft erhöht.
Zu funktionellen Verkürzungen kann es durch tagtägliche Fehlhaltungen am Arbeitsplatz, aber auch durch falsches Training kommen. Trainierst du beispielsweise deine Brustmuskulatur immer nur in einem geringen Bewegungsumfang, verlernt dein zentrales Nervensystem die Fähigkeit, sie in vollem Bewegungsumfang zu nutzen.
Ein nahezu entspannter Muskeltonus deiner Pecs wird dann für deinen Körper weitgehend irrelevant, weil er eigentlich nie abgerufen wird. Den Ruhetonus einfach etwas nach oben anzupassen, wirkt deshalb für deinen Körper zweckmäßiger und sparsamer. Mehr dazu lernst du in unserer Ausbildung zum Fitnesstrainer A-Lizenz.
Wie funktioniert eine Haltungsanalyse?
Für eine Haltungsanalyse gibt es viele verschiedene Methoden. Zu den unkompliziertesten gehört die Blickdiagnostik, also die einfache Betrachtung einer Person. Erfolgen sollte die Haltungsanalyse immer aus unterschiedlichen Perspektiven:
- von vorne (ventral)
- von hinten (dorsal)
- beidseitig von der Seite (lateral)
Ein Haltungsgitter, das an der Wand montiert oder digital auf Fotos gelegt wird, vereinfacht die Durchführung und ermöglicht eine noch akkuratere Haltungsanalyse. Hältst du das Ganze zudem fotografisch fest, kannst du Veränderungen in der Körperhaltung im Verlauf des Personaltrainings schnell und einfach vergleichen. Alternativ kannst du Hilfsmittel wie Stäbe oder Gummibänder zu Hilfe nehmen.
Nachfolgend betrachten wir beispielhaft einige Punkte der Haltungsanalyse im Stehen. Diese sollte barfuß, oder zumindest ohne Schuhe erfolgen.
Haltungsanalyse von vorne – Worauf musst du achten?
Begonnen wird die Haltungsanalyse häufig von vorne. Dabei sollte systematisch von oben nach unten oder von unten nach oben vorgegangen werden. Linke und rechte Körperhälfte sollten in etwa symmetrisch sein.
Folgende Fragen solltest du dir bei der Haltungsanalyse von vorne stellen:
Neigt sich der Kopf zu einer Seite?
Ist der Kopf auf eine Seite geneigt, kann dies ein Hinweis auf erhöhte Ruhespannungen (funktionelle Verkürzungen) in der Nackenmuskulatur, im M. levator scapulae und im oberen Trapezius sein.
Sind die Schultern auf unterschiedlicher Höhe?
Leichte Unterschiede sind hier völlig normal. Bei den allermeisten Menschen steht die Schulter auf der Seite der dominanten Hand etwas tiefer. Das kommt daher, dass Rechtshänder typischerweise eher rechtslastige Bewegungsmuster nutzen und Linkshänder eher linkslastige.
Wohin zeigen die Handflächen?
Im neutralen Stand sollten die Handflächen zu den Oberschenkeln zeigen. Häufig hängen die Hände aber vorderhalb der Oberschenkel und zeigen nach hinten, weil sie von funktionell verkürzten Brustmuskeln und überspannten Innenrotatoren der Schulter dorthin gezogen werden.
Steht die Hüfte gerade?
Steht die Hüfte auf einer Seite höher als auf der anderen, kann das an einer funktionell verkürzten Hüftmuskulatur liegen, oder daran, dass ein Bein länger ist als das andere.
In welche Richtung zeigen die Knie? Wie groß ist ihr Abstand zueinander?
Die Knie sollten in die gleiche Richtung wie die Fußspitzen zeigen. Stehen die Knie eng beieinander und weisen nach innen, spricht man von einer Valgusstellung bzw. X-Beinen. Stehen die Knie hingegen weit auseinander und zeigen nach außen, spricht man von einer Varusstellung oder O-Beinen.
In welche Richtung zeigen die Füße?
Idealerweise sind die Füße weniger als 30 Grad nach außen gedreht. Sind die Füße mehr als das nach außen gedreht, weist das auf versteifte, d. h. funktionell verkürzte, Außenrotatoren der Hüfte hin.
Haltungsanalyse von hinten – Worauf musst du achten?
Die Haltungsanalyse von hinten ergänzt die Betrachtung von vorne. Schau nochmal genau aus einem anderen Blickwinkel hin:
- Neigt sich der Kopf zu einer Seite?
- Stehen die Knie nah bei- oder weit auseinander?
- …
Genau wie bei der Betrachtung von vorne gilt: Linke und rechte Körperhälfte sollten symmetrisch sein. Kleine, unauffällige Abweichungen durch Rechts- bzw. Linkshändigkeit sind aber völlig normal. Nicht nur die Schultern können auf leicht verschiedener Höhe stehen, auch die Rücken-, Schulter- und Armmuskulatur kann etwas unterschiedlich ausgeprägt sein. Schultern, Hüfte, Pofalten, Kniekehlen etc. sollten in etwa auf gleicher Höhe liegen.
Wie sehen die Schulterblätter aus?
Steht ein- oder beidseitig das Schulterblatt vom Brustkorb ab, spricht man von einer Scapula alata (von lat. ala = Flügel). Während schwere Ausprägungen Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen sind, deutet eine leichte Scapula alata auf Dysbalancen im Schultergürtel hin. Hierbei sind in der Regel der untere Trapezius und der Sägemuskel zu schwach, die Rautenmuskulatur dagegen funktionell verkürzt und versteift.
Beschreibt die Wirbelsäule eine gerade Linie?
Abweichungen zur Seite weisen auf eine skoliotische Fehlhaltung oder ausgeprägte Skoliose hin. Was das ist und wie du damit im Krafttraining umgehst, erfährst du in diesem Beitrag.
Haltungsanalyse von der Seite – Worauf musst du achten?
Die seitliche Haltungsanalyse sollte immer von beiden Seiten durchgeführt werden. Idealerweise lässt sich eine senkrechte Linie vom Ohr über die Schultermitte und das Hüftgelenk bis knapp vor den äußeren Sprunggelenksknochen ziehen. Diese Linie ist das Körperlot. Sie zeigt die Richtung der Schwerkraft an. Abweichungen vom Körperlot resultieren in der Überaktivierung verschiedener Muskelgruppen, um den Körper in Balance zu halten.
Ist der Kopf nach vorne gestreckt? Ist der Nacken nach innen gewölbt? Und wie weit steht das Kinn nach vorne?
Befinden sich die Ohren vor der Lotlinie, kann das auf überhöhte Ruhespannungen der Strecker oder Beuger im Nackenbereich hinweisen. Möglich ist aber auch, dass der Kopf nach vorne gestreckt wird, um einen Buckel in der Brustwirbelsäule auszugleichen. Eine Innenwölbung im Nacken deutet auf funktionell verkürzte Nackenstrecker hin.
Fallen die Schultern nach vorne?
Wenn die Schultern nach vorne fallen deutet das auf funktionell verkürzte Brustmuskeln auf der einen Seite und Schwächen in den Rhomboideen und unteren Trapezmuskeln auf der anderen Seite hin.
Ist die Wirbelsäule in physiologisch normaler Doppel-S-Form gekrümmt?
- Die Halswirbelsäule (HWS) sollte leicht nach vorne gekrümmt sein (Lordose).
- Die Brustwirbelsäule (BWS) sollte leicht nach hinten gekrümmt sein (Kyphose).
- Die Lendenwirbelsäule (LWS) sollte leicht nach vorne gekrümmt sein (Lordose).
Eine verstärkte Brustkrümmung (Rundrücken) deutet auf tagtägliche Haltungsfehler hin. Experten sprechen auch vom Upper Crossed Syndrom (UCS). Hierzu kommt es zum Beispiel durch ständiges Vornüberbeugen, um auf den Monitor oder das Smartphone zu schauen. Dadurch verschiebt sich die Kopfposition nach vorne, der obere Rücken ist gerundet, die Brustmuskulatur verkürzt sich funktionell und die Schultern fallen nach vorn.
Die Folge sind muskuläre Dysbalancen im Hals-/Nacken- und Brustbereich. Die tiefliegenden Halsbeuger auf der Körpervorderseite sind zu schwach und inaktiv, genauso der mittlere und untere Anteil des Kapuzenmuskels auf der Körperrückseite. Der obere Trapezius und die M. levator scapulae sind hingegen zu fest, zu kurz und verspannt, genauso die kleinen und großen Brustmuskeln.
Äquivalent zum Upper Crossed Syndrom (UCS) im oberen Wirbelsäulenabschnitt gibt es das Lower Cross Syndrom (LCS) im unteren Teil der Wirbelsäule, gekennzeichnet durch eine verstärkte Krümmung in der Lendenwirbelsäule. LCS ist ein Viel-Sitzer-Syndrom. Bauch- und Gesäßmuskulatur sind nur schwach ausgeprägt, die Muskeln des unteren Rückens, die Hüftbeuger und Hamstrings dagegen zu fest und funktionell verkürzt. Infolge bleibt der Körper auch im aufrechten Stand in einer leichten Hüftflexion hängen.
Ist die Bauchdecke straff oder zeigt sich ein vorgewölbtes Bäuchlein?
Ist die Antwort hier “Ja” deutet dies auf eine schwach ausgeprägte untere Bauchmuskulatur hin.
Sind die Knie durchgestreckt oder leicht gebeugt?
Die Knie sollten beim aufrechten Stand leicht gebeugt sein. Erst dann kann sich das Gewicht auf dem ganzen Fuß verteilen.
Bewegungsanalyse
Um weitere Trainingsempfehlungen abzuleiten, kann zusätzlich zur Haltungsanalyse eine Bewegungsanalyse durchgeführt werden. Besonders gut für die Planung im Personal Training eignen sich hier Analysen funktioneller Bewegungen. Dazu zählen:
- Kniebeuge (Squat)
- Kniebeuge mit über Kopf ausgestreckten Armen (Overhead Squat)
- Ausfallschritt (Lunge)
Die normale Kniebeuge entlarvt schnell Schwächen in den Beinen und im Corebereich. Werden zusätzlich die Hände über den Kopf gestreckt, offenbaren sich Muskeldysbalancen, Schwächen und Spannungen im gesamten Körper. Der Ausfallschritt entlarvt neben Schwächen in Beinen und Core, Stabilitätsdefizite im Fußgelenk und in den Knien.
Du möchtest noch mehr über die Haltungsanalyse erfahren und im Allgemeinen dein Wissen erweitern? Dann schau dir unbedingt die Online-Ausbildungen an. Dort bekommst du zahlreiche Informationen rund um das Thema Gesundheit, Training und Ernährung. Die Ausbildung zum(r) Personaltrainer(in) lehrt dir beispielsweise unter anderem eine richtige Haltungsanalyse und bereitet dich für deine Karriere als erfolgreicher Trainer bestmöglich vor.
Quellen
Adkins, A. N. et al. (2021). Serial sarcomere number is substantially decreased within the paretic biceps brachii in individuals with chronic hemiparetic stroke. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 118(26): e2008597118.
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Csapo, R. et al (2010). On muscle, tendon and high heels. Journal of Experimental Biology. 213(Pt 15): 2582–8.
O’Sullivan, P.B. (2002). The effect of different standing and sitting postures on trunk muscle activity in a pain-free population. Spine (Phila Pa 1976). 27(11):1238–44.
Vieux, M. (o. J.). Identifying Upper Cross Syndrome for Dummies (Part 1). Abgerufen 16. Nov 2021 von: https://www.crossfitinvictus.com/blog/identifying-upper-cross-syndrome-for-dummies-part-1/
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