Muskelgewebe (quergestreifte und glatte Muskulatur)
Der menschliche Körper besteht aus ca. 650–700 Muskeln. Je nach Konstitution machen sie einen Großteil des Körpergewichts aus. Mittels Anspannung (Kontraktion) und Entspannung (Relaxation) ermöglichen sie alle denkbaren Arten und Formen von Bewegung.
So kannst du z. B. dank der insgesamt 50 Gesichtsmuskeln jede vorstellbare Grimasse ziehen, während dein Herz in aller Seelenruhe dein Blut durch deinen Körper pumpt. Je nach spezieller Anforderung ist ein Muskel aus verschiedenen Geweben zusammengesetzt. Welche Arten von Muskelgewebe es gibt, wie diese aufgebaut sind und welche Funktionen sie übernehmen, erfährst du hier.
Was ist das Muskelgewebe?
Sehr grob lässt sich „Gewebe“ als ein Zusammenschluss von Zellen beschreiben, welche gleichartig aufgebaut sind und einer spezifischen Funktion im menschlichen Organismus nachkommen. Traditionell unterscheidet man anhand von Aufbau und Funktion daher vier Gewebearten: das Muskelgewebe, das Binde- und Stützgewebe, das Epithelgewebe und das Nervengewebe.
Grundsätzlich sind die Zellen des Muskelgewebes wie fast alle andere Zellen im menschlichen Körper aufgebaut. Zwei Dinge unterscheiden sie jedoch:
Zellaufbau
Während andere Zelltypen oft nur unter dem Mikroskop zu erkennen und nur wenige Mikrometer groß sind, kann eine Muskelzelle eine Länge von bis zu 20 cm erreichen. Aufgrund dieser Längendimension wird sie auch als „Muskelfaser“ bezeichnet.
Zellfunktion
Aufgrund der zahlreich vorhandenen Eiweißstrukturen (Myofibrillen) im Zellplasma ist die Muskelzelle in der Lage, sich aktiv zu verkürzen (Kontraktion), Kraft aufzubauen und Bewegung zu ermöglichen. Die Erregung wird hierbei, ähnlich wie bei Nervenzellen, durch chemische oder elektrische Impulse ausgelöst. Diese Kontraktion ermöglicht eine Vielzahl an willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen. Bei der Kontraktion der Muskelzellen wird Energie verbraucht, welche in Form von Wärme im menschlichen Organismus freigesetzt wird. Somit spielt das Muskelgewebe eine wichtige Rolle bei der Wärmeregulation. Dieses Phänomen nutzt der Körper gezielt aus. Fällt die Körpertemperatur zum Beispiel aufgrund von Kälte ab, beginnst du irgendwann automatisch zu zittern. Dein Organismus tut hierbei nichts anderes, als verschiedene Muskelgruppen zu rekrutieren, um durch den Energieverbrauch Wärme freizusetzten.
Muskelgewebetypen
Quergestreifte Muskulatur
Anhand ihrer speziellen Funktion lässt sich die quergestreifte Muskulatur noch einmal in das Skelettmuskelgewebe und das Herzmuskelgewebe unterteilen.
In den folgenden Ausführungen wird vorrangig auf das Gewebe der Skelettmuskulatur eingegangen. Die Skelettmuskulatur gehört mit 40–50 % des Gesamtkörpergewichts zu den am stärksten ausgebildeten Organen im menschlichen Organismus. Das Skelettmuskelgewebe findet sich in der Muskulatur des aktiven Bewegungsapparats wieder und wird in der Regel vom willkürlichen animalischen Nervensystem versorgt. Das bedeutet, dass alle Vorgänge bewusst durch den eigenen Willen steuerbar sind.
Aufbau der quergestreiften Muskulatur
Stell dir den M. biceps brachii (Bizeps, zweiköpfiger Oberarmmuskel) vor. Er besteht aus zwei Köpfen (Caput longum et breve) und verläuft vom Schulterblatt (Scapula) bis hin zur Speiche (Radius). Der Muskel wird von einer faszialen Hülle umgeben, die als Muskelfaszie bezeichnet wird. Diese Muskelfaszie fungiert als Einheit und ermöglicht die Beweglichkeit zwischen den Muskeln. Nimmt man den Muskel genauer unter die Lupe, besteht er aus diversen Muskelfaserbündeln, welche wiederum aus Muskelzellen (Myozyten) bestehen. Ähnlich wie bei anderen Zellen, findet man Zellbestandteile wie den Nukleus, das Sarkoplasma oder das sarkoplasmatische Retikulum. Unter anderem folgende Zellstrukturen machen die Muskelfasern jedoch besonders:
- Zellkerne: Eine Muskelfaser der quergestreiften Muskulatur besitzt hunderte am Rand der Zelle gelegene Zellkerne.
- Zelllänge: Als Fasern ziehen sie häufig durch die gesamte Länge eines Muskels und gehen schließlich in die bindegewebigen Sehnen über, welche den Muskel am Knochen befestigen.
- Muskelspindeln: Die Muskelspindeln sind spezialisierte Muskelfasern, die als intramuskuläre Sensoren fungieren. Sie erfassen den Dehnungszustand und somit die Länge eines Muskels und senden diese Informationen direkt an das Rückenmark.
- Membrankanälchen: Winzige Röhrchen in der Muskelzelle, bekannt als transversale Tubuli oder T-System, ermöglichen es dem Extrazellularraum, sich in der Muskelfaser auszubreiten. Dies geschieht, weil sich die Zellmembranen der Muskelfasern in regelmäßigen Abständen ins Zellinnere stülpen. Ein ähnliches Röhrensystem namens longitudinale Tubuli oder L-System ist auch im sarkoplasmatischen Retikulum vorhanden. Über diese Röhren können schnell die für die Kontraktion erforderlichen Kalziumionen freigesetzt werden, während Aktionspotenziale sich rasch in der gesamten Zelle ausbreiten können.
- Kontraktile (sich verkürzende) Myofibrillen: In den Muskelfasern liegen Myofibrillen, welche aufgrund ihrer Bauweise die Grundlage von Muskelbewegungen bilden. Sie sind wiederum aus hunderten kleinen Einheiten, den Sarkomeren, zusammengesetzt. Ein Sarkomer ist die kleinste funktionelle Einheit der Muskulatur und setzt sich aus fadenförmigen Proteinmolekülen (Myofilamente, u. a. Aktin, Myosin und Titin) zusammen, welche von sogenannten Z-Streifen unterteilt werden. Die strikte Anordnung der Aktin- und Myosinfilamente erzeugen unter dem Lichtmikroskop eine gleichmäßige Hell-Dunkel-Färbung und verleihen dem Muskelgewebe seine quergestreiftes Aussehen. Sie tragen dazu bei, dass sich ein Muskel unter Energieaufwand aktiv zusammenziehen (Kontraktion) und passiv entspannen (Relaxation) kann. Hierbei wird chemische Energie (Adenosintriphosphat, kurz: ATP) in mechanische Energie und Wärme umgewandelt.
Muskelfasertypen der quergestreiften Muskulatur
Anhand seiner Kontraktionsgeschwindigkeit und -dauer kann man grob zwei Typen von Muskelfasern in der quergestreiften Muskulatur auffinden. Man unterscheidet:
- Langsam zuckende, rote Muskelfasern, auch: Slow Twitch (kurz: ST) bzw. Typ I
- Schnell zuckende, weiße Muskelfasern, auch: Fast Twitch (kurz FT) bzw. Typ II
Welche Fasern in deinem Organismus häufiger vorkommen, hängt vor allem von genetischen und individuellen Faktoren ab. Man geht jedoch insgesamt davon aus, dass der Anteil von ST-Fasern im menschlichen Organismus überwiegt. Slow-Twitch-Fasern verfügen über viel Myoglobin (rote Fasern) und besitzen somit einen höheren Sauerstoffspeicher. Sie beziehen ihre Energie aerob und kontrahieren langsam, aber ausdauernd. Sie sind für alle Aktivitäten von Vorteil, welche eine geringe Leistung, aber eine lange Dauer fordern (z. B. Haltearbeit). Fast-Twitch-Fasern werden nach ihrem Energieverbrauch (aerob, glykolytisch) noch einmal in drei Unterkategorien eingeteilt:
- Fast Twitch Oxidative (kurz: FTO) bzw. Typ IIa
- Intermediärfasern bzw. Typ IIc oder IIx
- Fast Twitch Glycolytic (kurz: FTG) bzw. Typ IIb
Insgesamt besitzen FT-Fasern weniger Myoglobin (weiße Fasern). Sie kontrahieren zwar schneller, aber kürzer als ST-Fasern. Je nach Energieverbrauch ermüden sie langsam (FTO, Typ IIa) oder schnell (FTG, Typ IIb). Sie sind für alle Aktivitäten nützlich, welche eine hohe Leistung, aber eine geringer Dauer erfordern (z. B. Kraftentwicklung).
Glatte Muskulatur
Die glatte Muskulatur kommt vor allem dort vor, wo sie nicht ermüden darf. Sicher denkst du sofort an das Herz. Aber nein! Auch wenn eine Ermüdung der Herzmuskulatur langfristig den sicheren Tod bedeutet, zählt man sie aufgrund ihres Aufbaus und ihrer Funktion zur quergestreiften Muskulatur. Denn die glatte Muskulatur arbeitet vergleichsweise langsam, dafür jedoch sehr ausdauernd. Beträgt die Kontraktionsgeschwindigkeit der quergestreiften Muskelzellen nur wenige Millisekunden, kann die Muskelkontraktion der glatten Muskelzellen bis zu einer Sekunde dauern. Vergleichbar ungünstig für die Herzmuskulatur, oder? So kleidet die glatte Muskulatur vor allem Eingeweide aus. Als Ausdauerathlet findet man sie vorrangig:
- In den Wänden der Hohlorgane, u. a. im Magen-Darm-Trakt (vgl. Peristaltik), in den Geschlechtsorganen
- In Gefäßwänden, u. a. in den Blutgefäßen (vgl. Vasomotorik)
- In den tiefen Atemwegen
- Im Auge, u. a. im Pupillenmuskel
- In Haaren und Drüsen
Aufbau der glatten Muskulatur
Die Muskelzellen der glatten Muskulatur können eine Länge von 20 bis zu 800 Mikrometern erreichen und sind in der Regel in Schichten, Bündeln oder Gittersystemen angeordnet. Sie sind voneinander durch Basalmembranen getrennt und stehen außerhalb der Zelle über Eiweißsysteme (extrazelluläre Proteinsysteme) miteinander in Verbindung. Einige Muskelfasern weisen sogar kleinste Sehnen (Retikulinfasern) auf, welche direkt an das Bindegewebe ansetzen.
Die Fasern der glatten Muskulatur sind spindelförmig oder zylindrisch aufgebaut und in der Mitte mit drei bis acht Mikrometern am breitesten. Anders als die quergestreifte Muskulatur, besitzen diese Muskelfasern jeweils nur einen längsovalen Zellkern, welcher zentral in der Zellmitte liegt. Alle anderen Zellorganellen wie u. a. die Sarkosomen (vgl. Mitochondrien) und das sarkoplasmatische Retikulum, kurz: SR (vgl. endoplasmatisches Retikulum, kurz: ER), gleichen sich jedoch.
Arten der glatten Muskulatur
Aufgrund ihrer Funktion lässt sich das Gewebe der glatten Muskulatur in zwei Arten einteilen:
Single-Unit-Typ
Der Single-Unit-Typ ist die herkömmliche Art der glatten Muskulatur. Die Muskelzellen stehen u. a. über kleine Kanälchen (Gap Junctions) in der Zellmembran miteinander in Verbindung. Wird ein Aktionspotenzial ausgelöst, rekrutiert dieses ein Netz von benachbarten Muskelzellen, welche dann autorhythmisch als Einheit fungieren. Auffindbar ist diese Art des glatten Muskelgewebes u. a. in Hohlorganen des Magen-Darm-Trakts oder in den Geschlechtsorganen.
Multi-Unit-Typ
Glatte Muskelzellen des Multi-Unit-Typs sind eher Einzelkämpfer. Sie besitzen wenige Verbindungspunkte mit den umliegenden Zellen und werden einzeln rekrutiert. Zu finden sind sie u. a. in den Gefäßwänden großer Arterien, in der Lunge und im Auge.
Erregungsweiterleitung der glatten Muskulatur: Die funktionelle Ordnung der kontraktilen Myofilamente im Sarkoplasma sind noch nicht ausreichend geklärt. Bekannt ist, dass Aktin und Myosin weniger streng angeordnet sind. Unter dem Lichtmikroskop lässt sich so keine einheitliche Struktur erkennen, weswegen dieses Muskelgewebe als „glatt“ bezeichnet wird. Ähnlich wie bei der quergestreiften Muskulatur sind die Myofilamente (u. a. Aktin und Myosin) über sogenannte Hilfsproteine wie u. a. Desmin und Alpha-Actinin miteinander vernetzt und im Sarkolemm (Zytomembran, Zellmembran) verankert.
Die Muskelfasern der glatten Muskulatur werden durch das vegetative Nervensystem
- Sympathikus: „Flucht oder Kampf“, Neurotransmitter: Noradrenalin und
- Parasympathikus: „Ruhe und Entspannung“, Neurotransmitter: Acetylcholin
und das enterische Nervensystem (Darmnervensystem) gesteuert. Eine Anspannung (Kontraktion) der Muskelzellen wird über den Einstrom von Kalziumionen in das Zellplasma (Zytoplasma) ausgelöst und verläuft ähnlich wie die Kontraktion quergestreifter Muskelfasern (vgl. „Gleitfilamenttheorie“). Durch die unregelmäßige Anordnung der Myofilamente entsteht eine spiralförmige Längenverkürzung der glatten Muskulatur.
Bei Anspannung (Kontraktion) drehen sich die Muskelzellen in eine Spirale, bei Entspannung (Relaxation) kehren sie in ihre Ruheposition zurück. Durch diese Verschraubung können sich die Muskelzellen der glatten Muskulatur nicht nur viel stärker verkürzen, sondern auch stärker dehnen als quergestreifte Muskelfasern. Anders als in der Herz- bzw. Skelettmuskulatur kann die Kontraktion sehr langsam von statten gehen (u. a. gleichmäßige Kontraktionswellen im Darm) oder länger anhalten (Dauerkontraktion von u. a. Schließmuskeln).
Literatur
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